Striche durch Rechnungen – Zur stadträumlichen Verlagerung von Sexarbeit

Tim Zulauf/KMUProduktionen
mit Andreas Storm

Erweiterte Wiederaufnahme nach Gastspiel an der Biennale Bern!
Kulturelle Auszeichnung Stadt Zürich 2013!


Sexarbeiterin E. gibt ihren Salon auf. Die Umsetzung der neuen Prostitutionsgewerbeverordnung zwingt sie dazu. Nur: Der damals für ihren Auszug verantwortliche Sittenpolizist H. mischt sich weiterhin in ihr Leben ein. Möchte er E.s neues Engagement für eine globale Sexarbeiter_innenorganisation durchkreuzen? Was sonst bezweckt die Beharrlichkeit, mit der er E. auf ihre ehemalige Rolle festzulegen versucht? E. setzt sich zur Wehr. Sie beschliesst die Doppelmoral ihrem Beruf gegenüber von innen anzugehen – von H. aus. Doch es stellt sich heraus: Die gesellschaftlichen Gegenpositionen E. und H. sind bereits von einer unbekannten, nichtidentischen Energie durchdrungen. Grenzen zwischen Geschlechtern und argumentativen Positionen verrutschen und vervielfältigen sich. Umgearbeitet wird dabei ein gesellschaftlicher Diskurs, der Sexarbeit zunehmend an Migration aus Osteuropa, kulturellen Rückstand, Kriminalität und Frauenhandel koppelt – und der so Trennungen zwischen gesellschaftlichen Gruppen vertieft.

Als Inszenierung handelt Striche durch Rechnungen von den Abhängigkeiten zwischen Innen- und Aussenräumen, Rollenverhältnissen und Stadtraum. Im Schauspiel von Andreas Storm verschränken sich Texte und Spielweisen, authentisches und inszeniertes Verhalten: Vorträge gehen über in Bekenntnissen, innere Monologe und intime Telefonate prallen auf Bezugnahmen zum Publikum. Auch Sexarbeit bewegt sich an diesen Schnittstellen: Im Aussenraum inszenierte sie Zuneigung und Begehren und trägt damit ein Verhalten in den Stadtraum, das aus bürgerlicher Perspektive dem Privaten vorbehalten ist. Als Arbeit wiederum veröffentlicht sie den Innenraum privater Berührung und Intimität via Aushandlung und Kauf.

Striche durch Rechnungen schreibt sich ein in die europaweite Diskussion um Freierbestrafung und Restriktion von Sexarbeit. Das Projekt fragt nach, mit welchen Moralvorstellungen politisch im Namen von Sexarbeitenden argumentiert wird und welche Kräfte Städte dazu bewegen, Strassenstriche in Verrichtungsboxen zu verlegen und Klein-Salons mit komplizierte Bewilligungsverfahren zur Aufgabe zu zwingen. Was steckt hinter dem Argument, "Horizontales Gewerbe und Familienwohnungen" liessen sich nicht vereinen?
Das Projekt Striche durch Rechnungen bezieht sich auf aktuelles Geschehen in den Zürcher Stadtkreisen 4 und 5: Vor einem Jahr verlegte der neuer Strichplan den Strassenstrich vom Sihlquai in Verrichtungsboxen nach Altstetten. Und seit Anfang 2013 verpflichtet die neue Prostitutionsgewerbeverordnung die in Salons im Kreis 4 arbeitenden Sexarbeiter_innen, aufwendige Bewilligungsverfahren durchzustehen. Diejenigen, die sich dazu nicht in der Lage sehen, werden in die Illegalität oder in Grossclubs in die Agglomeration gedrängt. Oder sie finden sich aufgefordert, wo möglich, neue Wege einzuschlagen…

In Striche durch Rechnungen verschiebt der Schauspieler Andreas Storm virtuos Sprechpositionen, Text- und Handlungselemente. Die Installative Dramatisierung kann während der vierstündigen Öffnungszeiten durchgehend besucht werden. Eintritt frei.

Performance, Schauspiel: Andreas Storm, Christoph Rath (Video)
Text, Projekt: Tim Zulauf
Dramaturgie: Andreas Storm, Andrea Thal
Kamera, Video: Franziska Koch
Ton: Susanne Affolter
Recherche: Andreas Lehner
Grafik: Roger Conscience
Assistenz: Angelo Romano, Gökçe Ergör
Produktionsleitung: Andrea Thal


Eine Koproduktion von KMUProduktionen und Les Complices *, realisiert mit Unterstützung von Stadt Zürich Kultur, Kanton Zürich Fachstelle Kultur, Georges und Jenny Bloch-Stiftung, Schweizerische Interpretenstiftung, Migros-Kulturprozent.