SURPRISE*SURPRISE: FROM THE HEART OF DARKNESS

Simone Schardt / Wolf Schmelter

Unter dem Titel Unrequested Home Delivery versenden Simone Schardt und Wolf Schmelter insgesamt 180 Textfragmente aus dem 1975 erschienenen Buch Gelegenheitsarbeit einer Sklavin – Zur realistischen Methode von Alexander Kluge an Adressen des Les Complices*-Verteilers. Das Buch zum Film enthält neben der Drehbuchversion das Skript des realisierten Filmes, die Abweichung vom Drehbuch war ein Grund für den damaligen deutschen Bundesminister des Inneren, dem Film Prämienmittel zu kürzen, eine Situation, die sich derzeit auch im hiesigen Kulturbetrieb in verschiedenen Konfliktsituationen als Drohgebärde aktualisiert.

CH-Hirne statt Erdöl? Afrikanischer Busch? Meinungsäusserungsfreiheit? – EIN SCHNIPSELABEND

Wann wird aus Nationalismus Rassismus? Bleibt es dabei: Zu den wesentlichen Aufgaben von Kunst gehört die kritische Distanznahme? Aufhebung von Kunst in Kulturpolitik? Budgetprobleme? Heisst das Mitspielen des Spiels nicht auch das Spiel in seinem Regelsystem zu bestätigen? Wem gehört in diesem Spiel das Wort? Wem bleibt das Bild?  

Geht es um das Verhältnis von Kunst und Politik, war "picturing politics" lange Zeit eine der Antworten seitens der Künstler und Künstlerinnen. In dem Glauben, Abgebildetes und Abbildendes fielen nun nicht gerade in eins, aber Abbildung und künstlerische Intention stünden in einem Verhältnis, das sich selbst erklärt und das Politische in sich birgt – es umschließt und in diesem Sinne auch einschließt – sind eine Vielzahl künstlerischer Arbeiten entstanden, die das Inakzeptable von Herrschaft und Repression sichtbar machen. Diese Vorgehensweise hat in jüngster Zeit zu äußerungen geführt, die für das Unrepräsentierbare in den Bildern votierten. Jenseits der Fragestellungen, ob bestimmte Bilder gezeigt werden dürfen oder nicht, rücken nun auch Fragen der Adressierung von Bildern in den Vordergrund: Welche Gemeinschaft formiert sich in den Bildern und vor den Bildern? Das in dieser veränderten Perspektive formulierte politische Anliegen von Kunst besteht nunmehr weniger in der Abbildung gesellschaftspolitischer Missstände, als darin, eine permanente Neubestimmung der Aufteilung von Wirkmächtigkeiten zwischen Kunst und Politik vorzunehmen. Dabei geht es weniger um das überschreiten von Grenzen – und das wäre der wesentliche Unterschied zu anything goes Attitüden oder purem Aktionismus – als vielmehr um eine permanente Arbeit an der Verschiebung derselben. So weit, so gut. Was aber, wenn aktuelle Ereignisse aus dem politischen Tagesgeschehen uns nicht mehr von einer ungehindert formierbaren Gemeinschaft vor Bildern welcher Art auch immer ausgehen lassen?

Eine Montage von Ausschnitten aus der Fernseh-Wahlaufarbeitung Schweiz 2007 sowie aus Spiel- und Dokumentarfilmen folgt dem Phänomen der aufwändig geführten Wahlkämpfe. Dabei im Zentrum: Vorauseilender Gehorsam in Bezug auf eine "öffentliche Meinung" – und die aus ihm resultierenden Verfehlungen wie Ignoranz und Selbstsucht. Krankt die Schweizer Demokratie neuerdings an Marketing und Leadership? Leidet die Urteilskraft der Wählenden unter der "Amerikanisierung" von Wahlkämpfen? Und wäre der gegenwärtige, fremdenfeindliche Populismus damit ein anderer als derjenige der 1960er und 1970er Jahren, begonnen mit Albert Stockers "Anti-Italiener-Partei" weiter zu James Schwarzenbachs "überfremdungsinitiativen"?

Dies sind Meldungen aus dem markierten, politischen Raum: Visuelle Repräsentation trifft auf ihr politisches Pendant. Wie kann ein Raum, der visueller Repräsentation vorbehalten ist und damit an der Ordnung des Sichtbaren arbeitet, in einen anderen Modus übergehen, in den der Performanz? Und dies nicht nur für die üblichen Verdächtigen, sondern allen, die kommen, die Möglichkeit zur Selbstrepräsentation bereitstellen?

Ein um Einiges verlängerter Einkaufsamstagabend von Simone Schardt, Wolf Schmelter und Tim Zulauf mit Essen, Trinken, Schreien.

Text: Simone Schardt / Wolf Schmelter

Links: www.simoneschardt.net  www.wolfschmelter.net  www.zulauf.it

Simone Schardt / Wolf Schmelter, _SURPRISE*SURPRISE: FROM THE HEART OF DARKNESS_, Präsentation von Tim Zulauf, Les Complices* 2007

Simone Schardt / Wolf Schmelter, SURPRISE*SURPRISE: FROM THE HEART OF DARKNESS, Präsentation von Tim Zulauf, Les Complices* 2007